Lauter und öfter schreien ist nicht die Lösung
Dmexco-Panel: “The Fog: Marken im digitalen Nebel - wie erreicht Werbung Akzeptanz und Zielgruppen?”
Werbung ist nicht per se Kommunikation, sondern ein Kommunikationsangebot. Dieses Angebot können Menschen annehmen oder ablehnen. Ein gebrülltes Angebot wird von den Empfängern als Lärm wahrgenommen und erschwert den Empfang der eigentlichen Werbebotschaft. Stimuli erzeugen nicht gleich Wirkung. Nur weil ich lauter und öfter schreie, kommt meine Botschaft deswegen nicht besser an.
Das OWM-Panel zum Thema “Marken im Nebel”, wie man wieder Akzeptanz für Werbung bei den Menschen erreicht, Widerstände überwindet und Zielgruppen erreicht, war dringend nötig. Insbesondere um aufzuzeigen, was wir als Werbebranche anders und besser machen können. Daher habe ich mich sehr gefreut, das Thema mit Shanine Chaudhry, Nancy Julius und Uwe Storch unter der Moderation von Catrin Bialek zu führen.
Wir müssen online endlich Werbeformate anwenden, die zum einen den Möglichkeiten der Interaktion mit den Empfängern und zum anderen dem Nutzungsverhalten der Menschen gerecht werden. Ähnlich wie bei der Einführung früherer Medien haben wir bisher vor allem versucht, Print-, Audio- und Bewegtbildwerbung online auszustrahlen. Und das erscheint anachronistisch.
Das Internet hat ein funktionierendes Ökosystem aus der Balance gebracht
Dass Online Ads programmatisch gebucht, getracked und getargeted werden, hat für die Empfänger keine Relevanz. Es bleiben Banner oder Videos, die Ihnen vorgesetzt werden. Die denkwürdigste Errungenschaft der Adtech-Branche ist es, ein über hundert Jahre gut funktionierendes Ökosystem zwischen Medien, Werbetreibenden und den Menschen aus der Balance gebracht zu haben.
Wie und vor allem was wurde aus der Balance gebracht? Medien haben Inhalte produziert und veröffentlicht, die Menschen konsumieren wollten und Werbetreibende haben die Medien in der Hoffnung finanziert, einen Teil der Aufmerksamkeit der Menschen abzugreifen und auf Ihre Werbebotschaften richten zu können. Im Internet wurde vielen Tech- und Daten-Unternehmen eine auf den gesammelten Nutzerdaten basierende Wertschöpfung in diesem System ermöglicht. An dieser Wertschöpfung haben die nutzenden Menschen und oft auch die Medien nicht teilgenommen. Und viel zu lange wurden die Menschen darüber nicht in Kenntnis gesetzt. So hat die AdTech- und MarTech-Branche die DSGVO und TTDSG herbeigeführt.
Amazon, Netflix und Uber machen vor, wie’s geht
Andere Branchen haben sich längst den neuen Möglichkeiten des Internets angepasst. Siehe das veränderte mediale Nutzungsverhalten der Menschen beim Konsum von Musik, Filmen, Serien und Games. Wie sich die Art und Weise, wie wir täglich mit Menschen an anderen Orten kommunizieren, verändert hat. Wie sich die Finanz-, Dating-, Reise- und Mobility-Branche und vor allem eCommerce unser Kaufverhalten verändert hat. Und im Jahr 2022 glauben wir als Werber wirklich, dass es noch zeitgemäß ist, den Menschen die Werbung aufzudrängen?
Werbung muss relevant sein: dann ist sie nützlich und wird vielleicht sogar geliebt
Das Internet wird als Medium langsam “erwachsen”. Erinnern wir uns: die ersten Radiosendungen waren Lesungen von Büchern, die ersten TV-Sendungen, Radio-Programme mit Bild. Seien wir ehrlich, Banner und Video-Ads sind heute nichts anderes als Adaptionen der Print- und TV-Werbung. Thomas Koch weist auf einen ähnlichen Gedanken hin: Mit Plakaten haben wir 2.000 Jahre Erfahrung, mit Zeitungen gehen wir 400 Jahre um, mit Radio fast 100, mit TV 65 Jahre. Erfahrung mit dem Internet haben wir erst 20 Jahre. In der Werbebranche müssen wir endlich den Mindsetwechsel wagen, uns dem neuen Umfeld anpassen und begreifen, dass es im Internet nicht notwendig ist, den Menschen die Werbung vor die Nase zu setzen.
Vielleicht gelingt es der Werbung dann, nicht nur die Menschen nicht zu stören, sondern nützlich zu sein und in ganz seltenen Fällen dafür sogar wieder geliebt zu werden.